Aus eins mach zwei

Nach bald einem Jahrzehnt Kolpinghaus „Gemeinsam leben“ ist es Zeit Bilanz zu ziehen – darüber, ob wir hier wirklich mit- oder doch nur nebeneinander leben, darüber, ob wir gelernt haben, Last und Freude zu teilen, und darüber, ob unsere Vision Früchte getragen hat. Von Präses Ludwig Zack

Es war fast genau vor acht Jahren: Am 14. November 2003, wurde unser Kolpinghaus in Wien-Favoriten eröffnet. Über den Eingang haben wir mit großen Buchstaben „Gemeinsam leben“ geschrieben – zwei Worte, die von Anfang an unser Leitgedanke waren, unseren Wunsch und unsere Vision zusammenfassten: unter einem Dach gemeinsam wohnen, gemeinsam essen, gemeinsam singen und spielen, gemeinsam feiern und trauern, gemeinsam lachen und manches Mal auch miteinander leiden, oder besser gesagt: mit unseren Nachbarn mitleiden.

Was dieses Zusammenleben aber von Anfang an so anders, so ungewöhnlich machen sollte, war, dass hier gleichsam von heute auf morgen Menschen zusammenfinden wollten, die einander nicht nur völlig fremd waren, sondern gleichzeitig auch völlig unterschiedlichen Generationen mit völlig unterschiedlichen Bedürfnissen angehörten: Es kamen Kinder und Erwachsene, Alte und Jugendliche, nach Ruhe suchende Pflegebedürftige und Mütter mit schreienden Babys.

Aber auch das war noch nicht alles: Die Menschen, die bei uns einzogen, kamen aus allen sozialen und beruflichen Schichten wie auch aus fremden Ländern mit fremden Sprachen, Kulturen und Religionen. Und doch gab es von Anfang an etwas Verbindendes, denn im Wesentlichen kamen sie alle aus zwei Gründen zu uns: Sie suchten Arbeit oder ein Zuhause – und einige, wie z.B. die eine oder andere Bewohnerin unserer Mutter-Kind-Wohnungen, haben hier sogar beides gefunden.

Heute, nach acht Jahren, stellt sich natürlich die Frage: Haben die Menschen, die hier wohnen und arbeiten, tatsächlich zueinander gefunden? Oder ist unsere Vision von einem gemeinsamen Leben doch nur ein Nebeneinander geblieben, eine Notgemeinschaft von Verzweifelten, die in unser Haus kommen mussten, weil es nicht (mehr) anders gegangen ist, von Senioren mit erhöhtem Pflegebedarf, von Mutter-Kind-Familien, die nach einem Zufluchtsort suchen?

Ja, auch das kommt vor, denn auch wir sind keine Insel der Seligen. Doch in erster Linie geht es für alle BewohnerInnen um eines: Das Beste aus der Zeit zu machen, die sie miteinander hier in ihrem gemeinsamen Haus verbringen. Für viele Menschen, die zu uns kommen, ist es am Anfang allerdings nicht leicht: Es fällt ihnen schwer, ihr gewohntes Leben zu verändern, Abschied zu nehmen von dem, was bisher war, und zu akzeptieren, was nicht mehr zu ändern ist. Manche wehren sich lange gegen das Unvermeidliche, oft unendlich lange.

Aber gerade weil Veränderung Angst macht und daher oft nur schwer zu ertragen ist, haben wir unser Kolpinghaus „Gemeinsam leben“ so gebaut, wie es ist. Weil wir denken, gemeinsam sind wir stärker, gemeinsam können wir mehr Lasten tragen und mehr Freude finden, wurde unser Haus wie eine Einladung geplant – eine Einladung zum Miteinander!

„Einer trage des Anderen Last!“, sagte der Apostel Paulus zu den Galatern. „Geteilte Last ist halbe Last und geteilte Freude ist doppelte Freude!“, sagt der Volksmund. Im Miteinander teilt der Mensch beides, Last und Freude, und beides macht ihn letztendlich reicher.

Und deshalb hat unsere Vision von einem gemeinsamen Leben über alle Generationsgrenzen hinweg Früchte getragen – aus eins wurden zwei: Neben unserem Kolpinghaus „Gemeinsam leben“ in Wien Favoriten gibt es jetzt auch eines in Wien-Leopoldstadt. Denn Teilen verbindet!